Dokumentation
Verfasser: | Franz Gauglitz |
Bemerkung: | Übereinstimmung des Wortlauts noch nicht gegen das Original überprüft |
Datum der Niederschrift: | 1967 |
Jahrgang: | 1926 |
Quelle: | FG01 |
Region: | Sudetenland, Schönhengstgau, Landskron |
Seite: | 266f |
Titel: | Die große Not |
Berichtszeitraum: | 22.07.1945 - |
Von den Zusammengetriebenen {Anm: beim Landskroner Blutgericht} waren über 1200 Männer willkürlich ausgewählt und im Landskroner Gymnasium konzentriert worden. Sie waren für den Transport nach Sibirien bestimmt. Die Mißhandlungen wurden fortgesetzt. Am 22.5. bzw. am 25.5. Abmarsch nach Leitomischl. Eine Woche im Schloß. Zurück nach Böhmisch Trübau. Verladung. Per Bahn nach Auschwitz, Konzentrationslager. Nochmals Untersuchung. Nach 8 Tagen Transport der Überlebenden nach Sibirien.
Unter Androhung der Todesstrafe mußten von den Deutschen abgegeben
werden: Sämtliche Uniformstücke, Gegenstände aus Wehrmachtsbeständen,
Motorfahrzeuge aller Art, Fahrräder, Schreibmaschinen, Fotoapparate,
Radios, Staubsauger, Musikinstrumente, Noten, Bücher, Ski, Skischuhe,
hohe Stiefel, Gold und Silber, auch Eheringe, Briefmarkensammlungen,
Gemälde, Teppiche, Uhren, Pelze, wertvolles Porzellan, Nähmaschinen
und Waffen aller Art.
Alle Deutschen mußten die weiße Armbinde tragen, in Wildenschwert
die gelbe. Alle Deutschen mußten unentgeltlich arbeiten. Kein
Deutscher durfte nach 19 Uhr das Haus verlassen. Kein Verlassen der
Gemeine ohne Passierschein. Dieser kostete 10 Kronen, wenn er überhaupt
ausgestellt wurde. Kein Verkehrsmittel durfte benutzt werden.
Speziell ausgewählte Hetzfilme mußten besucht werden, sonst Entzug
der Lebensmittelkarten. Auf die Lebensmittelkarte für 4 Wochen
gab es für Deutsche: Fleisch 0, Käse 0, Eier 0, Milch 0, für Deutsche
besonders gebackenes Brot 7300 g, 1200 g Zucker, 300 g Nährmittel,
300 g Fettstoff; nur Kinder bis zum 6. Lebensjahr erhielten etwas
Milch.
Immer wieder wurden Deutsche besondes aus unseren Dörfern in die tschechischen Gebiete Böhmens zur Sklavenarbeit an tschechische Bauern feilgeboten und abgeholt; so z.B. die Hälfte der Knappendorfer über Pfingsten, am 15.6. die Bewohner von Zohsee, die nach Tschenkowitz getrieben worden waren. Am 28.6. holte man sich die Nieder Johnsdorfer und wieder in Tschenkowitz Ober Johnsdorfer, am 1.9. Jokelsdorfer. Oft kam es vor, daß Männer und Jungen das beschlagnahmte Vieh wegtreiben mußten, und wenn sie wieder in ihr Dorf zurückkehrten, waren die weiblichen Mitglieder der Familie schon abgeholt worden. Am 27.5. wurde Ober Johnsdorfer Vieh weggeführt, am 13.6. Thomigsdorfer.
Auch am 13.6. wurden etwa 600 Thomigsdorfer weggeführt
schlimmer als Vieh, denn bewaffnete Tschechen waren die Treiber, die
es eilig hatten, die Deutschen über die Grenze nach Schlesien zu jagen.
Ganz unerwartet und kurzfristig ergingen die Sammelbefehle: 12:25 Uhr
für 13:00 Uhr am Sportplatz. Dort Aussonderung derer, die noch in
Thomigsdorf bleiben durften
und der jungen Mädchen, die zur Arbeit dort bleiben mußten. Solche
junge Mädchen wurden oft jahrelang festgehalten und mußten zu jedem
Dienst bereit sein.
Der Jammerzug gind durch Landskron nach Böhmisch Rotwasser. Am
nächsten Tag um 6 Uhr über Gabel und Wichstadtl zur Grenze.
Über die Grenze getrieben, überließ man die Vertriebenen sich selbst.
In dem kleinen schlesischen Dorf Steinbach mit 400 Einwohnern fanden
3000 Vertriebene aus unserem Kreis u.a. aus
Thomigsdorf, Lukau, Sichelsdorf, Michelsdorf und Laudon ihr erstes
Unterkommen.
Von der wilden Austreibung waren als erste betroffen die Gemeinden
Türpes, Ziegenfuß und Klein Hermigsdorf am 11.6. In
Ziegenfuß hatte man nur
10 Familien zurückbehalten, alle anderen wurden ohne irgendwelche
Nahrungsmittel und persönliche Dinge mitnehmen zu können, von
der Tagesarbeit weggetrieben. Wer gerade Pantoffeln an den Füßen
hatte, diese unterwegs verlor, weil er etwa im Laufschritt getrieben
wurde, mußte barfuß weiterziehen. Allerdings wurden diese Unglücklichen
in Grulich von den Russen gestoppt und zurückgeschickt. Die Wohnungen
in Ziegenfuß waren schon von den Tschechen ausgeplündert worden.
Ein paar Tage später führte der Weg nach
Olbersdorf. Tschechische
Bauern holten sie aus diesem Lager zu Frondiensten ins tschechische
Gebiet. Von dort erfolgte später ihre Aussiedlung. Die zurückgebliebenen
Deutschen hatten ein nervenaufreibendes Leben unter den Tschechen.
Sie durften nicht einmal zusammen gehen, geschweige denn sich unterhalten.
So wurde der sehnliche Wunsch gezüchtet, bald ausgesiedelt zu werden,
um wieder ein menschenwürdiges Dasein führen zu können. -
12.6. Zohsee und
Olbersdorf. Dort mußte innerhalb
von 10 Minuten das Haus verlassen sein. Der Leidensweg führte in
stockfinsterer Nacht bei Regen das unwegsame Zohseetal aufwärts
über Weipersdorf nach
Ober Hermanitz. Bei
Tagesanbruch durfte gerastet werden. Die Polen hatten Schlesien
besetzt und die Grenze abgesperrt. So ging es wieder zurück ins
Heimatdorf, um am 15.6. nach
Tschenkowitz
getrieben zu werden. Die Tschenkowitzer waren bereits mit 30 kg
Gepäck über die Grenze ins Glatzer Bergland getrieben worden.
Die berittenen Treiber hatten unwegsame Waldpfade über die Berge
ausgesucht, um polnische und russische Grenzstationen auf dem
Weg nach Schlesien zu vermeiden.
Am 13.6. die Hälfte der
Sichelsdorfer
verjagt, von
Lußdorf 172 und die aus
Lukau. Am 14.6. die
aus Jockelsdorf 80,
450 aus Michelsdorf
(binnen 20 Minuten mußte der Dorfplatz erreicht sein),
230 Dittersbacher,
die von der Heuernte weggeholt worden waren. Alle Deutschen
waren fortlaufenden Räubereien und Drangsalen ausgesetzt.
Einzelne Familien fanden den Weg über die Grenze wieder zurück
in ihre alte Heimat, allerdings waren ihre Häuser bereits belegt
oder ausgeplündert. Die meisten Gruppen nahmen verschiedene Wege
und wurden schließlich von den Polen im März 1946 mit den
Schlesiern ausgewiesen. Ziele dieser Transporte waren Ostfriesland,
Braunschweig, Münster, Heidelberg, aber auch Orte in der
sowjetischen Besatzungszone.
Am 21.6. um 17 Uhr setzten sich in Triebitz von der Pfarrwiese aus die Vertriebenen in Bewegung und kamen gegen 23 Uhr im Olbersdorfer Erbgericht an. Auch hier raubten und schlugen die Tschechen. Am 24.6. wählten tschechische Bauern Arbeitskräfte aus und nahmen sie mit. Alte und Kranke wurden eines Tages aus diesem Lager fortgebracht - von ihnen hat man nichts mehr gehört, sie sind verschollen. In diesem Lager, das nur 3 Wochen bestand, sind viele Kleinkinder gestorben, man spricht von 40. Im Internierungslager in Landskron, das im ehemaligen Reichsarbeitsdienst-Lager eingerichtet war, starben innerhalb von 14 Tagen 23 Kleinkinder, weil ihnen die entsprechende Nahrung nicht gereicht werden konnte. Internierungslager in Olbersdorf wurden immer wieder belegt.
Am 5.7. erhalten ungefähr 1500 Landskroner ihren schriftlichen Ausweisungsbefehls schon frühmorgens, 5 Uhr 45. Vom Stadtplatz (7 Uhr) in den Getreidespeicher und in die Goldwarenfabrik Langer verbracht. Selbstverständlich - das braucht nicht immer wiederholt zu werden, da es stets erfolgte - wurden Uhren, Schmuck, Geld und Sparbücher, Wertgegenstände und die als solche angesehen wurden - abgenommen. Am nächsten Tag Verladung von je 40 Personen mit ihren verbliebenen Habseligkeiten in offenen Kohlenwaggons. Fahrt nach Teplitz-Schönau (kein Getränk, niemand durfte austreten). Nach verregneter Nacht Auswaggonierung. Schießende Tschechen treiben den Elendszug pausenlos zum Kamm des Erzgebirges hinauf. Wer starb, blieb liegen. Nochmals Kontrolle, und über die Grenze gejagt; jeder seinem Schicksal überlassen. Wochenlang waren diese Bedauernswerten unterwegs von Ort zu Ort, mehrere 100 km Fußmarsch, denn nirgendwo in der Sowjetischen Besatzungszone durfte länger als 24 Stunden verblieben werden, wenn man keine Unterkunft fand. Die unterwegs Umgekommenen sind nicht gezählt.
Am 11.7. mußten die verbliebenen Bewohner von Michelsdorf binnen 10 Minuten ihre Wohnungen verlassen. Nach Landsberg in Fabrikräume getrieben, wurden sie von tschechischen Bauern abgeholt. - So und ähnlich wurde mit Deutschen aller Gemeinden des Landkreises umgegangen. In den Spätsommertagen wurden die Schwerkriegsversehrten unseres Kreises gesammelt in das Lager Kuchly bei Königgrätz gebracht. Die dort von Tschechen verübten Grausamkeiten bewogen sogar die russischen Kommandostellen einzuschreiten. Das Lager mußte aufgelöst werden. Die Versehrten gelangten wieder nach Hause.