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Dokumentation

Verfasser: Julius Friedel
Bemerkung: Bericht Nr. 75
Datum der Niederschrift: ca. 1950
Jahrgang: ?
Quelle: SW01
Region: Sudetenland, Schönhengstgau, Landskron
Seite: 55
davor liegender Teil des Berichts: JF01.b.de
Berichtszeitraum: 05.07.1945 -

Am 5. Juli 5.45 Uhr früh erhielt ich mit meiner Familie und mit mir noch ungefähr 1500 Heimatgenossen den schriftlichen Ausweisungsbefehl.

In dem Getreidespeicher und in der Goldwarenfabrik Langer wurden wir zusammengepfercht. Dort wurden uns in rabiater Weise der Schmuck, die Uhren, die Einlagebücher und der größte Teil des Geldes weggenommen. Nach einer Nacht auf den Steinfliesen wanderte der Elendszug zum Bahnhof, wo wir bis zu über 40 Personen mit dem Gepäck in kohlenschmutzstarrenden offenen Waggons wie das Vieh verladen und in ununterbrochener Fahrt nach Teplitz-Schönau transportiert wurden. Während der Fahrt durfte niemand den Waggon verlassen, kein Getränk wurde verabreicht, die Kinder waren am verdursten, niemand durfte austreten. In Teplitz-Schönau auf dem Bahnhof mußten wir die verregnete Nacht im offenen Waggon verbleiben.

Am Morgen des 7. Juli 1945 wurden wir auswaggoniert, in einen Zug formiert, ein Partisane schlug mir die Zigarette aus dem Mund, gab mir eine Ohrfeige und stahl mir den letzten spärlichen Tabakvorrat aus der Tasche mit dem Fluch: "Ich werde dir geben rauchen, du deutsches Schwein!" In Marschkolonne mit den Handziehwagen wurden wir von schießenden Partisanen wie die Verbrecher eskortiert, buchstäblich mit Peitschenhieben vorwärts getrieben. 16 km ging es im schärfsten Marschtempo ununterbrochen bergan über das Erzgebirge bis zur letzten tschechischen Grenzkontrolle. In glühender Sommerhitze stöhnten die Leidensgenossen, die kleinen Wagen hinter sich herziehend. Meiner Schwester Berta Kunz riß ein Partisane die goldenen Ohrgehänge aus den Ohren, so daß sie blutete, ihre 20jährige Tochter wurde dabei ohnmächtig, ich zog vorüber, konnte ihr aber natürlich nicht beistehen. Meine Frau machte schlapp, indem sie in Folge Entkräftung den Handziehwagen nicht mehr mitziehen helfen konnte, so daß ich mit dem letzten Aufgebot meiner geschwächten Kräfte und, obwohl am rechten Arm noch immer teilweise gelähmt, mit einem Zugseil um den Körper diese Sklavenarbeit alleine leisten mußte. Unsere Kinder mit einer alten Tante wurden mit LKW zur Grenze gebracht.

Austretenden Flüchtlingen schossen die Partisanen nach. Ohne Erbarmen trieben sie uns pausenlos vorwärts, ein älterer Mann blieb, vom Schlag getroffen, tot auf der Strecke. Bei der Grenzkontrolle wurden vielen Flüchtlingen ein Teil ihrer verbliebenen Habe gestohlen. In der ersten sächsischen Grenzgemeinde Geising fanden wir weder Unterkunft noch Verpflegung, die Erwachsenen mußten auf dem Friedhof, die Kinder mit den Müttern in der Kirche nächtigen.

Auf der fürchterlichen Vertriebenenwanderung durch Deutschlands zerstörte Städte verloren wir unser jüngstes Kind durch die Ruhr in Berlin, alle anderen drei Kinder erkrankten ebenso wie wir selbst an der Ruhr, meine Frau außerdem an Typhus. Wir zogen durch einige verseuchte Lager und gelangten schließlich am 22.7.1945 gänzlich erschöpft und fast verhungert in Wismar in Mecklenburg an.

Auch meinen 85jährigen kranken Vater, meine schwerleidende vollinvalide 51jährige Schwester Therese und die zwei Schwestern meines Vaters, 87 und 90 Jahre alt, letztere in sterbendem Zustand, haben die tschechischen Humanitätsapostel aus der Heimat verjagt. Meine Schwester und die beiden Tanten starben nach kurzer Zeit in Altersheimen in Boizenburg und Güstrow, mein Vater im Juli 1948 in Rochlitz in Sachsen.

Ich verließ im Oktober 1947 die Ostzone, nachdem ich über zwei Jahre die Russen und deren Trabanten genossen hatte, wurde an der Zonengrenze von der deutschen Polizei an die Russen ausgeliefert, entfloh und gelangte schließlich in ein Lager in der US-Zone. Nach einjähriger Vorbereitung habe ich meinen Beruf als Rechtsanwalt [...] wieder aufgenommen."

http://www.kreis-landskron.de/