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Dokumentation

Verfasser: Rudolf Richter
Beruf: Bauer
Datum der Niederschrift: ca. 1970
Jahrgang: 1901
Jug.: 1
Quelle: FG02
Region: Sudetenland, Schönhengstgau, Landskron
Seite: 50-52
Berichtszeitraum: 17.05.1945 - 21.05.1945

Die erste Begegnung mit den Russen machte ich am 9. Mai 1945 gegen Mittag. Ich kam auf meinem Motorrad aus Landskron nach Lußdorf und wurde auf der Straße vor unserem Hofe Nr. 40 von den Russen aufgehalten und nach Waffen, Uhren und Wertgegenständen durchsucht. Die Durchsuchung war menschlich, meine Taschenuhr, die ich im Hosentäschen trug, fanden sie nicht. Es schlossen sich gleich die ersten Russenbesuche auf dem Hofe an. Die Vorhut benahm sich verhältnismäßig gut, doch die Nachhut, die unter dem Einfluß und Folgen reichen Alkoholgenusses stand, benahm sich schon rücksichtsloser, räuberischer und belästigender.

Der Druck stieg langsam ins Unerträgliche, sodaß ich es und meine Frau vorzogen, ohne uns vorher verständigen zu können, ins bereits blühende Rapsfeld, ca. 150 m hinter dem Hof, zu flüchten und zu verbergen. Meine Frau und ich verzichteten unter diesen Umständen auf die Rückkehr in den Hof, nachdem wir aus dem Versteck die Plünderungen wahrnehmen konnten. Unser Hof, als Neubau an auffallender übersichtlicher Stelle an der Straße liegend, wurde vielleicht als Gasthof angesehen und stand im Brennpunkte der ungebetenen, stürmischen Besuche. Der Hof wurde in der Folge- und Zwischenzeit von Fremden und auch Bekannten restlos ausgeplündert. Meine Frau und ich setzten uns daher in den späten Nachmittagstunden dieses 9. Mai gegen Sichelsdorf ab, wo wir uns vorübergehend am Strohboden meines Freundes Heinrich Habermann versteckten. Sichelsdorf war bis zu jener Stunde noch verschont zum Unterschied von Lußdorf, das an der Durchzugsstraße Hohenstadt - Landskron liegt.

In den Vormitternachtsstunden zogen wir es jedoch vor, im Einvernehmen mit der Familie Habermann unter Mitnahme eines Rucksackes und 2 Stücken Brotes in die Nacht hinaus, über Felder und Wiesen in Richtung Höllengraben, zu Zohsee gehörend, in die Wälder von Laudon zu fliehen. Das eine Stück Brot verlor ich und wir trösteten uns mit der damals mit Begierde verbreiteten Legende vom Schäfer, der so eine schwere Zeit durchmachen müsse. Diese Zeit daure nicht lange, es stehe nicht dafür, wenn er von zwei Laiben Brotes eins verliert, sich danach umzudrehen, denn bald kehre wieder Ruhe und Ordnung ein.

Nach drei Übernachtungen in den Wäldern um Laudon, Neudorf, Tschenkowitz und Herautz, wobei Frl. Mitzi Meixner Lußdorf Nr. 54 diese Tour mitmachte, wagten wir uns dann doch in den Abenstunden des dritten Tages aus den Herautzer Wäldern heraus und suchten Fühlung mit der Bevölkerung. Wir gingen in das außerhalb Herautz liegende Bauernhaus, welches von einer älteren Bauernfamilie bewohnt war. Wir waren alle ausgehungert, durstig und ruhebedürftig. Diese Augenblicke bleiben uns noch immer, 25 Jahre danach, wo ich diese Erinnerungen schreibe, in lebhafter Erinnerung.

Am nächsten Morgen suchte ich Fühlung mit unseren Verwandten Rudolf und Aurelie Rotter in Herautz. Rudolf Rotter vermittelte eine Begegnung mit einem Mitglied der Ortskammandantur des národní výbor von Herautz, einem Tschechen, der uns eine Bescheinigung zur freien Rückkehr nach Lußdorf ausstellte. Die Rückkehr traten wir am Montag, dem 13. Mai über Zotkittl an.

In Zotkittl konnten wir schon einiges von unserem gestohlenen Eigentum, wie Schreibmaschine usw. feststellen, doch erhoben wir vorläufig aus taktischen Gründen keinen Anspruch auf Rückerstattung, die Sachen befanden sich bei unserem Schweizerpaar. Wir kamen noch in den Vormittagsstunden auf unserem Hofe in Lußdorf an und sahen nun die Bescherung, was man inzwischen aus unserem Hofe mit Zubehör und Einrichtungen gemacht hatte. Worte allein genügen nicht, all diese Überraschungen, Eindrücke und Enttäuschungen zum Ausdruck zu bringen. Selbst das eigene Personal und die Nachbarschaft stahlen alles ohne Skrupel zusammen und machten sich als vermeintliche Nachfolger und zukünftige Hofbesitzer breit. Zentimeterhoch bestrich man das Brot mit Butter und man glaubte nun von jener Seite aus, das Zeitalter wäre angebrochen, wo nur mehr Honig fließe. Wir ließen das alles über uns ergehen, warteten der kommenden Dinge, vertrauend auf die Menschlichkeit der anderen und der tschech. Nation. Unser früherer Bürgermeister Richard Meixner stellte sich wieder in den Dienst der Tschechen, kam zu mir mit der Bitte, Schriftstücke des národní výbor zu übersetzen, was ich auch tat in der Hoffnung, damit zur Rückkehr von Ruhe und Ordnung beizutragen. Obwohl der Hof ausgeraubt und ausgeplünder war - es waren keine Pferde mehr da, die zwei gummibereiften Ackerwagen waren ausgeplündert, der Hof war ohne tätige Mithilfe - versuchten wir mit unserem über 70 Jahre alten Opa, das wertvolle Vieh zu betreuen, soweit es in der Zwischenzeit nicht schon gestohlen oder abgeschlachtet war.

Die Tage und besonders die Nächte waren sehr unruhig. Nachts wurden wir geweckt und im Schlafzimmer unserer Kleider beraubt. Polnische und tschech. Einbrecher und Räuber kamen mit Pferdefuhrwerken angefahren, nahmen das letzte Mehl, ja sogar die letzte brütende Gans vom Nest weg. So u. ä. vergingen nun die Tage und Nächte der Unsicherheit, Unruhe und Verzweiflung; von unseren Zwillingssöhnen Gerhard und Rudi wußten wir nichts, auch erfuhren wir vorher nicht, daß Rudi am 15. April 45, also bereits einen Monat vorher in der Nähe seines Bruders gefallen war.

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