Geschichte von Stadt und Kreis Landskron - 1945 bis 1947
Zeit der zweiten tschechischen Besetzung und die Vertreibung
1945 Mai |
Kriegszeit ist Notzeit! Die große Not für uns Deutsche im Kreis Landskron
sollte allerdings erst nach der Kapitulation beginnen. Von Kampfhandlungen
blieb unser Kreis verschont. So hoffte die Bevölkerung, der Feind möge
unsere Orte nicht betreten. Die Ruhe nach dem zu hörenden Kampflärm
war zugleich die Ruhe vor dem Ansturm der fremdvölkischen Vertreter.
Russische Soldaten beeilten sich, im Verlaufe des 9.5. in unsere
noch unversehrte, ruhigen Gemeinden zu kommen, um die gesetzlose, für uns
Deutsche rechtlose Zeit auszunützen, ihre Begierden und Triebe zu
befriedigen. Es wurde geplündert, geraubt und geschändet. Kein Versteck
war sicher genug. Zu jeder Tages- und Nachtzeit mußte mit jeder Brutalität
gerechnet werden. Nichts durfte verschlossen sein. Alter oder Jugend
schützte nicht. Mit entsicherten Waffen wurde gefordert. Unsere Todesopfer -
unsere Zivilopfer stammen durchweg aus der Zeit nach der Kapitulation -
beweisen, daß nicht nur gedroht wurde, sondern tatsächlich versucht wurde,
auch über Leichen das grausame Ziel zu erreichen. Wehr- und ehrlos waren
die Deutschen allem ausgesetzt. Der Leidensweg der Deutschen, ob im Kreis Landskron beheimatet, ob zugezogen oder auf der Flucht gerade zufällig hier, wurde von den Tschechen gezeichnet, die sich Partisanen nannten. Gleich nach dem Einmarsch der Russen verschleppten Tschechen an die 30 Deutsche aus Tschenkowitz nach Gabel a. d. Adler. Dort wurden sie tagelang in einem Saal gefesselt zur Schau gestellt und furchtbar mißhandelt. Am 13.5. wurden sie zurückgebracht. Das tschechische "Volksgericht" in Tschenkowitz nimmt seinen Lauf. Die Dorfbewohner zusammengetrieben. Fast alle Männer mit dem Gesicht zur Friedhofsmauer gestellt; schwer mißhandelt. 2 Männer erhängt. Das Flehen der Angehörigen um Gnade wurde vom inzwischen eingesetzten tschechischen Bürgermeister abgetan: "Es geschieht im ganz recht, er ist ein Deutscher!" Die anderen mit Stricken aneinandergefesselt; nach Landskron getrieben ins Gefängnis. Das Bekennen zur deutschen Muttersprache war Grund genug! Auch für Dittersbacher Opfer. Ein Fabrikant hatte nach dem Anschluß 1938 erreicht, daß sein Betrieb nach Dittersbach eingemeindet und damit ans Deutsche Reich angeschlossen wurde und nicht beim tschechischen Liebenthal verlieb. Der Genickschuß wurde nach Marterung nicht ausgeführt, dafür die Kehle durchschnitten. Unzählige Deutsche wurden grausam zu Tode gequält, ein bloßes Erschiessen war den Mördern zu wenig. Damals stand der tschechischen Regierung unter Dr. Beneš der gesamte Sicherheitsapparat des ehemaligen Protektorats zur Verfügung, um eventuellen emotionellen Auswüchsen einer Revolution entgegenwirken zu können, aber nichts wurde verhütet. Alle Ausschreitungen jener Zeit waren wohlüberlegt und bestens organisiert. |
Am Landskroner Stadtplatz
trafen am 17.5. gegen 11 Uhr Autobusse und Lastaus mit Hunderten
bewaffneter Tschechen ein. Sie kamen u.a. aus Königgrätz, Pardubitz,
Geiersberg und Senftenberg. Ein russischer Offizier hielt eine Ansprache.
Das tosende Geschrei der Tschechen bewies ihre tatenlüsterne Bereitschaft.
Binnen kürzester Zeit hatten sie viele Hunderte deutscher Männer, auch
aus den umliegenden Dörfern, für ihr Bluttribunal zusammengetrieben,
auch Gebrechliche und Kranke, natürlich auch viele in den Tagen zuvor
in Gefängnissen gesammelte Deutsche. Die ersten Verletzten waren schon
auf dem Weg zum Platz zu beklagen.
Vor dem Landratsamt hatten sich die selbst ernannten Richter aufgebaut und verhängten bis gegen 19 Uhr Urteile am Laufenden Band. Erst am 18.5. gegen 17 Uhr machte die Kaufmannsfrau Heider dem makabren Schauspiel ein Ende, indem sie ihr Haus angezündet hatte, das direkt ans Landramts angebaut war. Sie selbst wählte den Freitod. Keines der Todesopfer des "Volksgerichts" wurde nur erhängt oder erschossen. Der Tod war der Abschluß - oft eine Erlösung - mehrere Stunden wählender Quälereien. Die ganze Zeit über, vor und nach den "Verurteilungen" durften die Deutschen von jedem Tschechen nach Belieben mißhandelt werden. Ohnmächtige wurden mit der Feuerspritze angestrahlt, um sie weiter drangsalieren zu können. Blutig geschlagene Köpfe und zerfetzte Leiber. Ein Teil der so Zugerichteten mußte sich ins Gefängnis schleppen. In die 3-Mann-Zellen wurden 19 Männer hineingepfercht. Ärztliche Betreuung wurde verboten. Später wurden sie nur nakt in die Zellen gelassen, damit sich keiner erhängen konnte. Denn während der Blutgerichtstage setzten in Landskron und Umgebung über 100 Personen angesichts der selbst erlittenen oder miterlebten Greueltaten sich selbst oder der ganzen Familie ein Ende. Einzelbestattungen waren nicht mehr möglich, auf dem Friedhof wurde ein Massengrab eingerichtet. Am 19. bis 21.5., dem Pfingstwochenende, wurden speziell die Männer aus den Landgemeinden vor das Bluttribunal getrieben. Um das Zusammentreiben der Deutschen zu erleichtern, wurde bei allen diesen Aktionen die jeweiligen Gemeinden von bewaffneten Tschechen umstellt; gleichfalls bei den Vetreibungsaktionen. Von den Zusammengetriebenen waren über 1200 Männer willkürlich ausgewählt und im Landskroner Gymnasium konzentriert worden. Sie waren für den Transport nach Sibirien bestimmt. Die Mißhandlungen wurden fortgesetzt. Am 22.5. bzw. am 25.5. Abmarsch nach Leitomischl. Eine Woche im Schloß. Zurück nach Böhmisch Trübau. Verladung. Per Bahn nach Auschwitz, Konzentrationslager. Nochmals Untersuchung. Nach 8 Tagen Transport der Überlebenden nach Sibirien. | |
Juni |
Unter Androhung der Todesstrafe mußten von den Deutschen abgegeben
werden: Sämtliche Uniformstücke, Gegenstände aus Wehrmachtsbeständen,
Motorfahrzeuge aller Art, Fahrräder, Schreibmaschinen, Fotoapparate,
Radios, Staubsauger, Musikinstrumente, Noten, Bücher, Ski, Skischuhe,
hohe Stiefel, Gold und Silber, auch Eheringe, Briefmarkensammlungen,
Gemälde, Teppiche, Uhren, Pelze, wertvolles Porzellan, Nähmaschinen
und Waffen aller Art. Alle Deutschen mußten die weiße Armbinde tragen, in Wildenschwert die gelbe. Alle Deutschen mußten unentgeltlich arbeiten. Kein Deutscher durfte nach 19 Uhr das Haus verlassen. Kein Verlassen der Gemeine ohne Passierschein. Dieser kostete 10 Kronen, wenn er überhaupt ausgestellt wurde. Kein Verkehrsmittel durfte benutzt werden. Speziell ausgewählte Hetzfilme mußten besucht werden, sonst Entzug der Lebensmittelkarten. Auf die Lebensmittelkarte für 4 Wochen gab es für Deutsche: Fleisch 0, Käse 0, Eier 0, Milch 0, für Deutsche besonders gebackenes Brot 7300 g, 1200 g Zucker, 300 g Nährmittel, 300 g Fettstoff; nur Kinder bis zum 6. Lebensjahr erhielten etwas Milch. Immer wieder wurden Deutsche besondes aus unseren Dörfern in die tschechischen Gebiete Böhmens zur Sklavenarbeit an tschechische Bauern feilgeboten und abgeholt; so z.B. die Hälfte der Knappendorfer über Pfingsten, am 15.6. die Bewohner von Zohsee, die nach Tschenkowitz getrieben worden waren. Am 28.6. holte man sich die Nieder Johnsdorfer und wieder in Tschenkowitz Ober Johnsdorfer, am 1.9. Jokelsdorfer. Oft kam es vor, daß Männer und Jungen das beschlagnahmte Vieh wegtreiben mußten, und wenn sie wieder in ihr Dorf zurückkehrten, waren die weiblichen Mitglieder der Familie schon abgeholt worden. Am 27.5. wurde Ober Johnsdorfer Vieh weggeführt, am 13.6. Thomigsdorfer. |
Auch am 13.6. wurden etwa 600
Thomigsdorfer weggeführt
schlimmer als Vieh, denn bewaffnete Tschechen waren die Treiber, die
es eilig hatten, die Deutschen über die Grenze nach Schlesien zu jagen.
Ganz unerwartet und kurzfristig ergingen die Sammelbefehle: 12:25 Uhr
für 13:00 Uhr am Sportplatz. Dort Aussonderung derer, die noch in
Thomigsdorf bleiben durften
und der jungen Mädchen, die zur Arbeit dort bleiben mußten. Solche
junge Mädchen wurden oft jahrelang festgehalten und mußten zu jedem
Dienst bereit sein. Der Jammerzug gind durch Landskron nach Böhmisch Rotwasser. Am nächsten Tag um 6 Uhr über Gabel und Wichstadtl zur Grenze. Über die Grenze getrieben, überließ man die Vertriebenen sich selbst. In dem kleinen schlesischen Dorf Steinbach mit 400 Einwohnern fanden 3000 Vertriebene aus unserem Kreis u.a. aus Thomigsdorf, Lukau, Sichelsdorf, Michelsdorf und Laudon ihr erstes Unterkommen. Von der wilden Austreibung waren als erste betroffen die Gemeinden Türpes, Ziegenfuß und Klein Hermigsdorf am 11.6.. In Ziegenfuß hatte man nur 10 Familien zurückbehalten, alle anderen wurden ohne irgendwelche Nahrungsmittel und persönliche Dinge mitnehmen zu können, von der Tagesarbeit weggetrieben. Wer gerade Pantoffeln an den Füßen hatte, diese unterwegs verlor, weil er etwa im Laufschritt getrieben wurde, mußte barfuß weiterziehen. Allerdings wurden diese Unglücklichen in Grulich von den Russen gestoppt und zurückgeschickt. Die Wohnungen in Ziegenfuß waren schon von den Tschechen ausgeplündert worden. Ein paar Tage später führte der Weg nach Olbersdorf. Tschechische Bauern holten sie aus diesem Lager zu Frondiensten ins tschechische Gebiet. Von dort erfolgte später ihre Aussiedlung. Die zurückgebliebenen Deutschen hatten ein nervenaufreibendes Leben unter den Tschechen. Sie durften nicht einmal zusammen gehen, geschweige denn sich unterhalten. So wurde der sehnliche Wunsch gezüchtet, bald ausgesiedelt zu werden, um wieder ein menschenwürdiges Dasein führen zu können.
12.6.
Zohsee und
Olbersdorf. Dort mußte innerhalb
von 10 Minuten das Haus verlassen sein. Der Leidensweg führte in
stockfinsterer Nacht bei Regen das unwegsame Zohseetal aufwärts
über Weipersdorf nach
Ober Hermanitz. Bei
Tagesanbruch durfte gerastet werden. Die Polen hatten Schlesien
besetzt und die Grenze abgesperrt. So ging es wieder zurück ins
Heimatdorf, um am 15.6. nach
Tschenkowitz
getrieben zu werden. Die Tschenkowitzer waren bereits mit 30 kg
Gepäck über die Grenze ins Glatzer Bergland getrieben worden.
Die berittenen Treiber hatten unwegsame Waldpfade über die Berge
ausgesucht, um polnische und russische Grenzstationen auf dem
Weg nach Schlesien zu vermeiden. Am 21.6. um 17 Uhr setzten sich in Triebitz von der Pfarrwiese aus die Vertriebenen in Bewegung und kamen gegen 23 Uhr im Olbersdorfer Erbgericht an. Auch hier raubten und schlugen die Tschechen. Am 24.6. wählten tschechische Bauern Arbeitskräfte aus und nahmen sie mit. Alte und Kranke wurden eines Tages aus diesem Lager fortgebracht - von ihnen hat man nichts mehr gehört, sie sind verschollen. In diesem Lager, das nur 3 Wochen bestand, sind viele Kleinkinder gestorben, man spricht von 40. Im Internierungslager Landskron, das im ehemaligen Reichsarbeitsdienst-Lager eingerichtet war, starben innerhalb von 14 Tagen 23 Kleinkinder an Unterernährung. | |
Juli |
Am 5.7. erhalten ungefähr 1500 Landskroner ihren schriftlichen
Ausweisungsbefehls schon frühmorgens, 5 Uhr 45. Vom Stadtplatz (7 Uhr)
in den Getreidespeicher und in die Goldwarenfabrik Langer verbracht.
Selbstverständlich - das braucht nicht immer wiederholt zu werden,
da es stets erfolgte - wurden Uhren, Schmuck, Geld und Sparbücher,
Wertgegenstände und die als solche angesehen wurden - abgenommen.
Am nächsten Tag Verladung von je 40 Personen mit ihren verbliebenen
Habseligkeiten in offenen Kohlenwaggons. Fahrt nach Teplitz-Schönau
(kein Getränk, niemand durfte austreten). Nach verregneter Nacht
Auswaggonierung. Schießende Tschechen treiben den Elendszug pausenlos
zum Kamm des Erzgebirges hinauf. Wer starb, blieb liegen. Nochmals
Kontrolle, und über die Grenze gejagt; jeder seinem Schicksal überlassen.
Wochenlang waren diese Bedauernswerten unterwegs von Ort zu Ort, mehrere
100 km Fußmarsch, denn nirgendwo in der Sowjetischen Besatzungszone
durfte länger als 24 Stunden verblieben werden, wenn man keine
Unterkunft fand. Die unterwegs Umgekommenen sind nicht gezählt.
Am 11.7. mußten die verbliebenen Bewohner von Michelsdorf binnen 10 Minuten ihre Wohnungen verlassen. Nach Landsberg in Fabrikräume getrieben, wurden sie von tschechischen Bauern abgeholt. So und ähnlich wurde mit Deutschen aller Gemeinden des Landkreises umgegangen. In den Spätsommertagen wurden die Schwerkriegsversehrten unseres Kreises gesammelt in das Lager Kuchly bei Königgrätz gebracht. Die dort von Tschechen verübten Grausamkeiten bewogen sogar die russischen Kommandostellen einzuschreiten. |
1946 |
Am 8.5. wird ein Gesetz erlassen, das alle diese sadistischen
Quälereien, Folter, Morde und Vergewaltigungen nicht nur straffrei
stellt, sondern sogar als Rechtmässig erklärt. Dieses Gesetz ist
auch im Jahr 2006 noch in Kraft und schützt die noch lebenden Mörder
vor ihrer Bestrafung.
Die Vertreibung der Deutschen erfolgt im Jahr 1946 in einer geordneteren Weise. Es wurden stets um die 1200 Personen gesammelt, in einen versiegelten Viehwaggon verladen und nach Westen gefahren. Der erste dieser Transporte verließ Landskron am 19.2. nach Fulda, der zweite überquerte die Grenze am 18.3. nach Regensburg, der dritte am 15.4. nach Mellrichstadt, der vierte am 13.5. nach Augsburg, der fünfte am 10.6. nach Hockenheim, der sechste am 27.6. nach München-Allach, der siebte am 20.7. nach Göppingen, der achte am 15.8. in die Sowjetzone nach Altenburg, am 13.9. ebenfalls in die Sowjetzone nach Brandenburg und der letzte große Transport führte am 31.10. nach Schwabach bei Nürnberg. Als Sammellager dienten in Landskron die Arbeitsdienstbaracken, die Gebäude im Kühlbusch und Häuser in der Siedlung Neue Heimat. Das hierbei zustehende Gewicht von 50 kg je Person wurde von den tschechischen Wachmannschaften gewohnheitsmäßig erleichtert. Die in Wildenschwert zusammengestellten Transporte überquerten die Grenze am 10.3. nach Treysa, am 11.4. nach München Allach, am 20.6. und 11.7. nach Regensburg, am 9.10. nach Wertingen und ein kleinerer letzter Transport am 22.10. schließlich nach Augsburg. Bis auf diesen enthielt jeder Transport um die 1200 Personen, allerdings zum großen Teil Alte, Frauen und Kinder. Die Männer waren bereits zur Sklavenarbeit ins Landesinnere, nach Sibirien oder in Arbeits- bzw. Todeslager verbracht worden. Am 31.10. feiert die Pardubitzer tschechische Zeitung Budujeme den letzten Deportationszug aus Landskron als historischen Tag. |
1948 |
Im Mai und Juni verlassen noch 4 Transporte mit
"freiwilligen Auswanderern" Landskron, um dem
bervorstehenden tschechischen Umsiedlungsbefehl ins Landesinnere
nicht folgen zu müssen. Die Transporte führten am
8.5. nach Augsburg, am 22.5. nach Sonthofen, am
10.6. und am 28.6. nach Augsburg-Göggingen. Ein
Teil dieser Spätaussiedler ließ sich am 18.1.49 in einem
Sammeltransport von Augsburg nach Kornwestheim leiten.
Nach 1948 gelang es nur noch vereinzelt in der Tschechoslowakei verbliebenen Deutschen, zu ihren Verwandten nach Deutschland zu kommen. |